Sind Sie von all dem Lärm um Yoga verwirrt? Sadhguru, ein bekannter indischer Guru und Mystiker erklärt hier in fünf Punkten, was Yoga bedeutet und was es wirklich ist. Außerdem wirft er mehr Licht auf drei Mythen über Yoga, die meist akzeptiert werden. Sadhguru hat eine Non-Profit-Organisation gegründet. Die Isha Foundation bietet Yoga Programme auf der ganzen Welt an.
#1 Yoga bedeutet Vereinigung
Sadhguru sagt: Wenn man in der westlichen Welt das Wort „Yoga“ hört, denken die Menschen an seltsame Körperhaltungen. Das ist eine sehr falsche Vorstellung davon, was Yoga bedeutet und was es eigentlich ist. Beim Yoga geht es nicht darum, den Körper zu beugen und zu verdrehen oder den Atem anzuhalten. Es ist ein Mechanismus und eine Technik, die uns in einen Erfahrungszustand bringt, in dem wir die Realität so sehen, wie sie ist.
Während Sie hier sitzen, sind Ihre Vorstellung und Ihr inneres Gefühl, wer Sie sind, ganz klar ausgedrückt. Denn jeder ist hier als ein Individuum. Aber was die Bäume gerade ausatmen, atmen wir ein; was wir ausatmen, atmen die Bäume ein. Mit anderen Worten, ein großer Teil Ihrer Lunge hängt von den Außenbedingungen ab. Das gilt nicht nur fürs Atmen. Die moderne Physik beweist uns heute, dass jedes kleine Teilchen in Ihrem Körper in ständiger Wechselwirkung mit allem anderen ist. Wenn diese Transaktion aufhört, hören Sie auf zu existieren. Yoga bedeutet also, die Einheit der Existenz durch Erfahrung zu erkennen.
Das Wort Yoga bedeutet wörtlich „Vereinigung“.
Die moderne Wissenschaft beweist uns, dass die gesamte Existenz nur eine einzige Energie ist. Die Religionen der Welt sagen schon seit langem, dass Gott überall ist. Ob Sie nun sagen: „Gott ist überall“ oder ob Sie sagen: „Alles ist eine einzige Energie“, wir sprechen über dieselbe Realität. Es ist nur so, dass ein Wissenschaftler dies nie erfahren hat. Er ist durch mathematische Ableitungen darauf gekommen; ein religiöser Mensch hat es nicht erfahren, er glaubt es, weil es irgendwo geschrieben steht oder von jemandem gesagt wurde.
Wenn Sie aber nicht bereit sind, sich mit Schlussfolgerungen oder Glaubenssystemen zufrieden zu geben, dann können Sie ein Yogi werden. Wenn Sie die Einheit des Seins gut kennen, dann sagen wir: Willkommen im Yoga!
#2 Yoga bedeutet einen vollständigen Weg
Yoga bedeutet, sich auf einem neuen Erkenntnisweg zu bewegen, wo man seine Existenz besser versteht. Wenn wir das Wort „Yoga“ an etwas verbinden, bedeutet das im Wesentlichen, dass es sich um einen vollständigen Weg an sich handelt. Wir sagen „Hatha Yoga“, aber wir sagen nicht „Asana Yoga“.
Wenn es nur eine einfache Praxis oder eine Übung wäre, könnte man es auf die eine Art angehen. Wenn es eine Kunstform oder nur Unterhaltung wäre, könnte man es auf eine andere Weise angehen. Heute sagt man „Freizeit-Yoga“, „Gesundheits-Yoga“ oder man bezeichnet es als eine Kunstform. Sie denken, dass sie dem Yoga einen Dienst erweisen, wenn sie sagen, dass es eine Kunstform ist. Nein. In dem Moment, in dem man das Wort „Yoga“ hinzufügt, zeigt es, dass es ein eigenständiger Weg ist.
Yoga kann man auch im Freien praktizieren.
#3 Yoga bedeutet, den Kreislauf des Lebens zu durchbrechen
Alle Aspekte der Körperlichkeit im Universum sind zyklisch. Die Planeten kreisen um die Sonne, das Sonnensystem ist in Bewegung und alles in der Galaxie und im Kosmos ist zyklisch. Je mehr Sie mit Ihrem physischen System identifiziert sind, desto zyklischer sind Sie. Ihre Erfahrungen und der Prozess des Lebens sind zyklisch. Wenn Sie genau hinschauen, kommen sogar die Situationen, die Sie bereits erlebt haben, ebenfalls in Zyklen.
Wenn man sich im Kreis bewegt, hat man nur den Eindruck, dass man irgendwohin geht. Aber in Wirklichkeit geht man nirgendwohin; man ist immer wieder in demselben Kreis. Yoga bedeutet, den Kreis zu öffnen und ihn wie eine gerade Linie auszustrecken, sodass man, wenn man der Linie folgt, irgendwo hingeht. Das heißt, man dreht sich nicht im Kreis. Viele von Ihnen haben das vielleicht schon ausprobiert und festgestellt. Sagen wir, Sie haben vielleicht ein paar Jahre lang Sadhana gemacht. Wenn Sie Ihr Sadhana für drei Monate unterbrechen, werden Sie feststellen, dass so viele Zwänge, die lange Zeit verschwunden waren, plötzlich ein Teil von Ihnen werden.
Fühlen Sie sich als Teil des Universums?
Diese Zwänge werden plötzlich wiederkommen, wenn Sie das Sadhana einfach unterbrechen, denn die Natur wird Sie nicht so einfach loslassen. Sie müssen immer wieder daran arbeiten. Wenn Sie sich dessen nicht bewusst sind, wenn Ihre Sicht zu begrenzt ist, dann ist das alles real. Wenn Sie sich öffnen und der Kreis und der Weg, den Sie gehen, sehen aus wie ein Zirkus. Sie werden auf jeden Fall etwas dagegen tun wollen, sodass es nicht ewig so weitergeht.
#4 Yoga bedeutet, sich von Erinnerungen zu befreien
Sich wiederholende Zyklen von Zwanghaftigkeit finden statt, weil es verschiedene Arten von Erinnerungen im System gibt. Es gibt eine riesige Menge an Erinnerungen – genetische, elementare, karmische, unartikulierte und artikulierte Erinnerungen. Wäre dieses Gedächtnis nicht vorhanden, würde Ihr Körper nicht einmal eine Form annehmen. Es gibt so viele Milliarden Menschen auf diesem Planeten, aber jeder hat diese Form angenommen – zwei Beine, zwei Hände, zwei Augen. Als einer noch im Mutterleib war, wusste der Körper, dass er diese Form annehmen muss. Wenn die Erinnerung nicht da gewesen wäre, wüssten wir nicht, welche Form er angenommen hätte.
Man hat seine physische Form nur wegen der Erinnerung so beibehalten. Erinnerung bedeutet immer das, was vergangen ist. Wenn Sie zum Beispiel ins Kino gehen, ist das, was dort gezeigt wird, so groß und real, sogar realer als die Wirklichkeit. Es stellt eine andere, neue Realität dar, weil es so übertrieben ist. Aber all das ist nur Erinnerung, die sich abspielt. Es wird in einem Film oder einem digitalen Format präsentiert, aber es ist nur Erinnerung, es ist bereits vorbei. Wenn die Informationen, also die Erinnerung, das Einzige ist, was Ihr Wesen bestimmt, dann gehören Sie zu der Vergangenheit. Es gibt kein wirkliches Leben; es ist nur ein Spiel der Erinnerung.
Beim Yoga kann man den Stress abbauen und sich von Erinnerungen befreien.
Sogar Ihre Gedanken, Emotionen, Zwänge, was Sie mögen, was Sie nicht mögen, wen Sie lieben oder doch nicht, ist alles nur noch Erinnerung. Es ist bereits Vergangenheit. Sie haben gestern jemanden geliebt und leben heute noch mit dieser Erinnerung. Sie haben gestern jemanden nicht gemocht und leben nun mit dieser Erinnerung. Wenn Sie so leben, dann wird das, was nun ist, an Ihnen vorbeigehen.
Yoga bedeutet, sich von den Informationen zu befreien, die bestimmen, wer wir im Moment sind. Die Informationen, die Ihre Hautfarbe und Körperform bestimmen, sollten nicht bestimmen, wie Sie denken, fühlen und Ihr Leben führen. Wenn diese Informationen nicht bestimmen, wie Sie jetzt sind, dann willkommen im Yoga!
Das tägliche morgendliche Sadhana dient nur dazu, allmählich Abstand von diesen Informationen zu gewinnen. Sie müssen sie nicht verlieren. Wenn Sie sie vergessen, werden Sie wieder die gleichen Dinge tun. Je unangenehmer Ihr Leben ist, desto mehr sollten Sie nie vergessen. Beim Yoga geht es nicht um Vergesslichkeit, sondern um die Fähigkeit, die Erinnerungen weiter mitzutragen oder sich davon zu befreien.
#5 Yoga bedeutet Transformation
Alles, was ein Mensch tun kann, ist im Wesentlichen ein Ausdruck dessen, was er ist. Einer singt ein Lied, ein anderer tanzt, schreibt ein Buch oder malt ein Bild. Sie können sich dessen bewusst sein oder nicht, aber alles, was Sie sagen und tun, ist im Wesentlichen ein Ausdruck dessen, was Sie sind.
Yoga ist dem diametral entgegengesetzt, denn es ist kein Ausdruck dessen, wer man ist, sondern es geht darum, zu bestimmen, wer man ist, und die Grundlagen der eigenen Existenz zu verändern. Heute gibt es umfangreiche medizinische und wissenschaftliche Beweise dafür, dass die Grundlagen der Gehirnaktivität, die Chemie und sogar die Genetik durch das Praktizieren verschiedener Yogasysteme verändert werden können. Dies bedarf keiner Bestätigung, da wir dies schon immer erlebt haben. Der Unterschied ist also nur darin, dass es heute wissenschaftliche Daten gibt, die dies beweisen.
Wenn Sie sich in einer bestimmten Aktivität voll entfalten können, kann sie Sie auch ein wenig verändern. Zum Beispiel wenn Sie gern und mit Herz kochen, singen oder tanzen, kann eine gewisse Transformation stattfinden. Das ist nur eine bestimmte Auswirkung, die aufgrund der absoluten Beteiligung an einer bestimmten Aktivität geschieht, aber im Wesentlichen ist diese Aktivität aufgrund ihrer Natur ein Ausdruck dessen, was Sie sind. Aber Yoga ist kein Ausdruck, es ist eine Art und Weise, durch die Sie die Form dessen, was Sie sind, verändern können – sowohl buchstäblich als auch auf andere Weise.
Auch in einer Gruppe machen die Yoga Übungen Spaß!
3 Mythen und Missverständnisse über Yoga
Hier sind 3 Mythen darüber, was Yoga bedeutet. Diese führen oft zu Missverständnissen und falschen Erwartungen.
#1: Yoga ist eine Philosophie
Heutzutage bringt jeder ständig seine eigenen Konzepte, Philosophien und Ideologien vor. Keiner ist bereit, das Leben so zu betrachten, wie es ist. Weil die Menschen zu sehr in ihre eigene Logik verliebt sind und ihren Intellekt ständig hochschätzen. Sie haben eigene Vorstellungen über das Universum, aber jeder einzelne Mensch ist darin zu klein. Die logische Frage ist in diesem Fall folgende: Wer sind Sie denn, dass Sie ein eigenes Konzept über das Universum ausdenken können? Im gesamten Yoga System gibt es keine Konzepte, keine Philosophien, Ideologien und Glaubenssysteme. Im Yoga gibt es nur Methoden zur Verbesserung Ihrer Wahrnehmung, denn nur das, was Sie wahrnehmen, ist real. Der Rest wird in Ihrem Kopf erfunden.
#2: Beim Yoga dreht sich alles um Körperhaltungen
Im Allgemeinen kann man sagen, Yoga bedeutet für die meisten Menschen weltweit Asanas. Jedoch sind Asanas nur ein kleiner vorbereitender Aspekt des Yoga. Yoga ist aber keine Übung, keine bestimmte Körperposition. Es ist eine andere Denk- und Lebensweise. Wenn ein Mensch beginnt, alles als Teil seiner selbst zu empfinden, befindet er sich im Yoga. Wir können nie in Worten ausdrücken, was Yoga bedeutet und was es genau ist. Nur wer bereit ist, es zu praktizieren, kann die Antwort darauf finden.
#3: Yoga ist eine Übung, um gesund zu bleiben
Menschen denken, Yoga bietet viele gesundheitliche Vorteile und eine gute Möglichkeit, den Alltagsstress abzubauen. Ja, es gibt definitiv körperliche und geistige Vorteile. Man kann bemerkenswerte Veränderungen in Bezug auf geistigen Frieden, Lebensfreude und Gesundheit erleben. Tatsächlich gibt es viele Menschen, die auf wundersame Weise von ihren chronischen Beschwerden befreit wurden. Aber das grundlegende Ziel von Yoga besteht doch darin, Ihre Lebenserfahrung allumfassend zu gestalten. So empfinden Sie sich nicht mehr als Individuum, sondern werden eins mit einem universellen Prozess. Das könnte zu phänomenalen Ergebnissen führen und das menschliche System in Einklang mit der kosmischen Macht bringen. Je mehr Aktivitäten Sie unternehmen, desto größer werden die Herausforderungen. Deshalb sollten Ihr eigener Körper und Geist, Ihre Emotionen und Energie für Sie arbeiten und keine Stolpersteine in Ihrem Leben darstellen. Erst dann können Körper und Geist plötzlich Dinge tun, die Sie für unmöglich gehalten haben. Die Menschen werden denken, dass Sie unmenschlich sind! Ob geschäftlich, privat, in der Liebe oder im Sport werden Sie alles mit gewissem Maß an Effizienz und Kompetenz erledigen. Das liegt daran, dass Sie bewusst oder unbewusst den Sinn Ihrer Existenz gefunden haben.
Wie finden Sie die Einstellung von Sadhguru über Yoga? Sind Sie mit seiner fachkundigen Meinung einverstanden?
Quelle: What Is Yoga? Sadhguru Dispels 3 Misconceptions About Yoga (Quelle in Englisch)